P. Niederhäuser: Die Familie von Mülinen

Cover
Titel
Die Familie von Mülinen – eine Adelsgeschichte im Spiegel des Familienarchivs.


Autor(en)
Niederhäuser, Peter
Reihe
Glanzlichter aus dem Bernischen Historischen Museum 21
Erschienen
Bern 2010: Schriften des Bernischen Historischen Museums
Anzahl Seiten
64 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Birgit Stalder

In der Reihe Glanzlichter aus dem Bernischen Historischen Museum ist eine Publikation zu einem der letzten Adelsgeschlechter der Schweiz – den von Mülinen – erschienen. Kunstvoll fotografierte Schriftdokumente, Bilder und Waffen aus dem Familienarchiv führen die Leserin chronologisch durch rund 700 Jahre Familiengeschichte. Nach einer kurzen historischen Einführung besteht das Buch aus einem Katalog, der je auf einer Doppelseite die Fotografie des jeweiligen Quellenobjekts und auf der andern dessen kurze Interpretation und historische Einbettung präsentiert.

Die Familie von Mülinen wird 1278 zum ersten Mal erwähnt. Peter von Mülinen ist Schultheiss der habsburgischen Kleinstadt Brugg. Zwar spielte die Familie innerhalb der habsburgischen Landesverwaltung keine grosse Rolle, doch gelang es ihr, mit dem Erwerb der Burgruine Wildenstein 1301 und der Doppelburg Kasteln-Ruchenstein 1310 einen «Stammsitz» der Familie zu gründen und im Laufe des 14. Jahrhunderts eine ziemlich geschlossene Herrschaft über umliegende Dörfer aufzubauen. 1470 teilte sich die Familie durch die Eheschliessungen der Brüder Hans Albrecht und Hans Friedrich mit Töchtern aus «besten bernischen Häusern» in einen aargauischen und in einen bernischen Familienzweig auf. Früh erlangte die Familie so Zugang zu den wichtigsten bernischen Ämtern – z. B. wurde Beat Ludwig von Mülinen 1568 zum Schultheissen gewählt – und zählte bald zu den angesehensten Geschlechtern der Stadt. Nebst den politischen Ämtern prägte die militärische Laufbahn den Alltag der männlichen Familienmitglieder. Sie begaben sich nach Frankreich und Holland in Fremde Dienste. Albrecht von Mülinen z. B. befehligte 1678 ein eigenes Regiment in Holland, was das Ansehen der Familie steigerte. Auch in den politisch unruhigen Jahren nach dem Ende des Ancien Régime 1798 trat ein Vertreter der Familie, Niklaus Friedrich von Mülinen, als moderater Konservativer prominent auf. Er unterhielt Kontakte zu den wichtigsten Politikern Europas und bekam 1816 den österreichischen Grafentitel verliehen. Gleichzeitig stand er als Schultheiss von Bern von 1818 bis 1824 der eidgenössischen Tagsatzung vor und regte die Durchführung des Unspunnenfestes zur Stärkung des Schweizer Nationalgefühls an.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts verlor das Patriziat seinen politischen Einfluss und seine gesellschaftliche Stellung. Die Nachfahren von Niklaus Friedrich wandten sich bürgerlichen Tätigkeiten zu. Niklaus Friedrich hatte die erste schweizerische Geschichtsgesellschaft gegründet und noch drei Generationen später zählten Vertreter der Familie zu wichtigen Figuren der Schweizer Historikerzunft. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts machte zudem eine weibliche von Mülinen von sich reden: Helene von Mülinen war eine der herausragendsten Kämpferinnen in der frühen Frauenbewegung.

Auf dem Foto, durch welches die Leserin mit Helene von Mülinen bekannt gemacht wird, ist deren Publikation Die Stellung der Frau zur Sozialen Aufgabe – ein Aufruf zur weiblichen Eigenständigkeit – abgebildet, welche sich 1897 12 000 Mal verkaufen liess. Niklaus Friedrich wird anhand eines Gemäldes von 1820, auf dem er als «edler und feinsinniger Landmann» erscheint, sowie eines Fotos des Grafendiploms von 1816 nähergebracht. Eine andere Abbildung zeigt das Hausbuch des Offiziers, Albrecht von Mülinen, der darin während seines zweijährigen Aufenthaltes in Holland 1693 – 1695 über Einnahmen und Ausgaben und Erlebnisse Buch geführt hat. Diese und weitere zwanzig fotografierte Objekte – Ernennungsdiplome, Schwerter, Wappenscheiben oder ein Reisetagebuch nach Jerusalem – führen die Leserin dank der historischen Einbettung und kurzen Präsentation des Objekts durch die oben umrissene Geschichte dieser Adelsfamilie.

Peter Niederhäuser ist es gelungen, die Quellen nicht nur in einen familiären Rahmen einzubetten, sondern sie auch ins jeweilige politische Umfeld zu stellen und damit gleichzeitig einen blitzlichtartigen Einblick in die bernische bzw. europäische Geschichte vom 13. bis ins 19. Jahrhundert zu geben. Dabei wird deutlich, dass in der Schweiz der Adel zwar seit dem Mittelalter keine grosse Rolle mehr spielte, dass aber einzelne Familien doch noch jahrhundertelang in Militär und Politik wichtige Ämter besetzten und selbst nach dem Ende des Ancien Régime weiterhin auf der politischen Bühne anzutreffen waren. Gleichzeitig spiegelt Niederhäuser anhand des präsentierten Einblicks ins Familienarchiv das Selbstbild der Familie – so zum Beispiel die romantisierende Sehnsucht nach einer Herkunft aus dem 9. Jahrhundert, die in Gemälden aus dem 19. Jahrhundert aufscheint. Die von Niederhäuser und Hurni gewählte Darstellungsweise fasziniert und verführt. Auf fast sinnliche Weise bringt sie der Leserin die Familie näher. Die schönen Fotos tragen ebenso dazu bei wie die bewusst kurz gehaltenen Texte.

Die Kürze der Texte geht zwar leider hin und wieder auf Kosten historischer Präzision. Zusammenhänge werden nur angedeutet, Entwicklungen nur verkürzt erwähnt, Begriffe nicht weiter verortet. Wer sich in der Berner bzw. Schweizer Geschichte auskennt, ergänzt mühelos das Ausgelassene. Wer aber historisches Neuland betritt, wird sich aus andern Quellen Zusatzinformationen beschaffen müssen. Schade ist auch, dass von den abgebildeten Dokumenten keine Transkriptionen abgedruckt sind. Die auf den Fotos ersichtlichen Auszüge aus Hausbüchern oder Reisetagebüchern wecken Neugierde auf den genauen Inhalt. Und schliesslich fehlt ein übersichtlicher Stammbaum, anhand dessen es möglich wäre nachzuverfolgen, wo in der Generationenfolge sich die Leserin gerade befindet. Dennoch liegt mit dem Bildband ein schönes Werk vor, das anhand von verschiedensten gekonnt inszenierten und fotografierten Quellen und deren klar verständlichen Analyse einen vielseitigen Einblick in die Geschichte der Familie von Mülinen sowie der Stadt Bern und der Eidgenossenschaft gewährt.

Zitierweise:
Birgit Stalder: Rezension zu: Niederhäuser, Peter: Die Familie von Mülinen – eine Adelsgeschichte im Spiegel des Familienarchivs. Glanzlichter aus dem Bernischen Historischen Museum, Band 21. Bern 2010. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 1, 2012, S. 69-71.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 74 Nr. 1, 2012, S. 69-71.

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